Hans Carossa – Dichter und Ehrenbürger Landshuts
Wir müssen wachend weiterbauen, was träumerisch begann.
Der Dienst ist groß, er lässt kein Grauen an unsern Mut heran.
An gelbem Blatt glänzt eine Traube in jugendschöner Hand.
Der Herbst ließ dem entfärbten Laube noch einen grünen Rand.
Diese Zeilen schrieb Hans Carossa 1942 angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Mit genau diesen Worten beendete Hans Carossa seine Danksagung anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenbürger Landshuts im Rathausprunksaal am 16. Januar 1949, eine Ehrenbürgerschaft, auf die Landshut und seine Bürger auch heute noch stolz sein dürfen.
Doch was führte zu dieser engen Verbindung Hans Carossas zu Landshut und zu seiner Aufnahme in die illustre Reihe der 46 Ehrenbürger der Stadt, zu denen auch die Künstler Willi Geiger und Hugo Högner oder die Politiker Roman Herzog und Josef Deimer gehören?
Hans Carossa ist kein Sohn dieser Stadt und doch verbrachte er nach eigener Aussage – ich zitiere aus seiner Danksagung am 16. Januar 1949 - „ die eindrucksvollsten empfänglichsten Jahre seiner Jugend...vom zehnten bis zum neunzehnten Jahr“ in Landshut, „in einer Zeit des Friedens, von Vertrauen getragener Ära, in der die Menschen, die uns bildeten, noch tief an unersetzliche Werte glaubten. Dieses alles war ein Glücksfall, der für mein ganzes Leben wohltätig fortgewirkt hat.“
Blicken wir ein wenig in die Vorgeschichte zurück:
Am 15. Dezember 1878 in Bad Tölz geboren, verbrachte Hans Carossa die ersten beiden Lebensjahre zeitweise bei Pflegeeltern, da seine Mutter, die Tochter eines königlichen Bezirksrates aus München, erst heiraten durfte, nachdem ihr zukünftiger Mann sein ärztliches Abschlussexamen abgelegt hatte.
In seiner autobiographischen Schilderung „ Eine Kindheit“ erzählt Hans Carossa recht anschaulich von unbeschwerten Kindertagen, ein wenig getrübt lediglich durch die Tatsache, dass er später in Pilsting als „Stadtkind“ von seinen Mitschülern viele Hänseleien erdulden musste. Nach dem Tod seines zweijährigen, um sieben Jahre jüngeren Schwesterchens und der Geburt seiner Schwester Stefanie sollte der aufgeweckte Zehnjährige ein humanistisches Gymnasium besuchen. Die Wahl der Eltern fiel auf Landshut, das sie von früher kannten.
Wie seine Erzählung „Verwandlungen einer Jugend“ eindrücklich schildert, war die erste Zeit für den kleinen Hans nicht einfach. Die Hackordnung unter den Mitschülern im Internat, dem Studienseminar, die Trennung von Zuhause, die strengen Regeln machten ihm das Eingewöhnen schwer. Ich zitiere: „Aber was hilft es dem Gelähmten, wenn man ihm die Unversehrtheit seiner Muskeln beweist? ...Ich hoffte auf Lehrer hinraffende Seuchen oder ein allverwandelndes Weltereignis und regte mich nicht.“
Langsam findet er jedoch Zugang zu einigen Mitschülern, schließt Freundschaften, die zum Teil ein Leben lang halten, und entdeckt die deutschen Klassiker als Lektüre. Eine glückliche Wendung bedeutet sein Umzug zu einem jungen Lehrer, dem Professor Hilgärtner, und dessen Frau zur Untermiete. Sie wohnen schräg gegenüber dem Gymnasium in der Freyung. Seine enge Freundschaft zu den Mitschülern Hugo Mott und dem musikbegeisterten Walter Gagg ermuntert ihn zu ersten literarischen Gehversuchen, einem Gedicht auf einen verstorbenen Lehrer und einem Gedicht auf einen Mitschüler , die anonym bzw. nur mit dem Kürzel „C“ am 20. und 21. Dezember 1896 im „Kurier für Niederbayern, Landshuter Tag- und Anzeigenblatt“ erscheinen. Schon in diesen frühen Gedichten zeigt Hans Carossa seine Vorliebe für anschauliche Bilder aus der Natur, um innere Empfindungen auszudrücken, und seine große Sorgfalt in Wortwahl und formaler Gestaltung.
Nach dem erfolgreich bestandenen Abitur nimmt Hans Carossa in München ein Medizinstudium auf und kommt dort in Kontakt mit namhaften Vertretern der literarischen Szene wie z.B. Richard Dehmel, Frank Wedekind, Karl Wolfskehl und Stefan George. Der Zwiespalt zwischen der bürgerlichen Existenz eines Arztes und der künstlerischen Berufung zum Dichter wird ihn sein ganzes Leben nicht mehr loslassen und so nimmt neben der Führung seiner Praxis in Seestetten, Passau und München sein literarisches Schaffen immer größeren Raum ein. Er lernt Franz Werfel und Rainer Maria Rilke kennen und verkehrt immer mehr in Kreisen der Schwabinger Boheme. Schrieb er zunächst fast ausschließlich Gedichte, so wendet er sich seit seinem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg immer mehr der Prosa zu. Ein monatliches Fixum des Insel-Verlags ermöglichen ihm Aufenthalte in Italien und umfangreiche Vortragsreisen. 1931 erhält er den Gottfried Keller Preis, 1938 den Ehrendoktor der Universität Köln und den Goethe - Preis Frankfurts. 1933 lehnt er die Berufung in die Preußische Dichterakademie ab, übernimmt aber nolens volens auf Drängen von Goebbels 1941 das Amt des Präsidenten des „Europäischen Schriftstellerverbands“, das er mit äußerster Zurückhaltung ausübt. Dies bestätigt auch Frank- Rutger Hausmann in seiner im Jahr 2004 erschienenen Geschichte der Europäischen Schriftstellervereinigung, wenn er schreibt: „ Carossa wurde gewählt, weil er kein NS-höriger Schriftsteller war, im Ausland hohes Ansehen genoss und somit unverdächtig war, ein NS-Propagandist zu sein.“ Trotz gelegentlicher unvermeidbarer pateikonformer Äußerungen, habe er insgesamt ein untadeliges Verhalten gezeigt und ein Eintreten für Liberalität und Völkerfreundschaft, die in der damaligen Zeit ihresgleichen suchte“. Zitat Ende. Auch Carl Zuckmayer charakterisierte Hans Carossa 1943 für den amerikanischen Geheimdienst als „Einzelgänger von unbedingter Integrität und Noblesse“, der sich, wo immer es ging, in die innere Emigration zurückzog.
Auch nach dem Krieg ist Hans Carossas Popularität ungebrochen. Er wird Gründungsmitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und erhält 1948 anlässlich seines 70. Geburtstages die Ehrendoktorwürde in München und die Ehrenbürgerschaft Passaus. Sein Werk, das in einer Gesamtausgabe 1949 ca. 1500 Seiten umfasst, wurde bereits damals in 17 Sprachen übersetzt, seine Erzählungen „Eine Kindheit“ und „Verwandlungen einer Jugend“ waren Schullektüre in England.
So verwundert es nicht, dass im November 1948 auch in Landshut Stimmen laut werden und sich beim damaligen Oberbürgermeister Albin Lang für eine Ehrenbürgerschaft des berühmten Dichters einsetzen, allen voran Professor Ludwig Renner, Frau von Straelen und seine Freunde Walter und Rosa Gagg, die ihm bei seinen Landshut-Besuchen oft Quartier boten. Seine bis heute zitierte Turmbesteigung von St. Martin oder seine Schilderung der Landshuter Hochzeit sind beredte Zeugnisse seiner engen Verbundenheit zum Ort der prägenden Jahre vom Kind zum Erwachsenen.
Bereits am 10. Dezember 1948 erfolgte der einstimmige Stadtratsbeschluss zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde am 16. Januar 1949 – eine wahrhaft sportliche Terminsetzung! Die Urkunde wurde von Franz Hoegner gestaltet, die Ansprache von Prof. Renner übernommen. Und selbst an einer ganz besonderen Überraschung für den Dichter, der von Hermann Hesse für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden war, sollte es nicht fehlen: Die Zöglinge des von ihm besuchten humanistischen Gymnasiums errichteten ihm zu Ehren zusammen mit dem Stadtgartenamt die Carossahöhe, ein Aussichtspunkt, der von Carossa als Schüler bei Spaziergängen besonders gern aufgesucht wurde und sich bis heute großer Beliebtheit erfreut .
Die Benennung des „Humanistischen Gymnasiums mit Realgymnasium“ als „Hans Carossa Gymnasium“ erfolgte allerdings erst 1961, fünf Jahre nach seinem Tod.
Die Schlussworte seiner Dankesrede am 16. Januar 1949 erweisen ihn als einen Mann mit einem tief verankerten Humanismus, der auch nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs – erinnern Sie sich an das eingangs zitierte Gedicht? - am „entfärbten Laub“ den „grünen Rand“ wahrzunehmen vermag und in unerschütterlicher Zuversicht auffordert:
Wir müssen wachend weiterbauen, was träumerisch begann.
Der Dienst ist groß, er lässt kein Grauen an unsern Mut heran.
Dabei weist er der Jugend eine besondere Rolle zu und erweist sich so als Zukunftsvisionär, der einem humanistischen Gymnasium als Namenspatron auch heute noch gut ansteht:
„von allen Bemühungen der Nachkriegszeit erscheint mir keine für die Zukunft unseres Volkes so erfreulich, so bedeutungsvoll, wie die zunehmende Förderung, die der Verkehr junger deutscher Menschen mit der Jugend des Auslandes erfährt, im Wissen dass dies das beste Mittel zur Wiedererweckung des gegenseitigen Vertrauens ist und dass ohne solches Vertrauen die zukünftige Einigung der europäischen Völker, also die Erneuerung des Abendlands, undenkbar ist.“
Ursula Weger