ERINNERN & ERHALTEN – DENKMALSCHUTZ UND DENKMALPFLEGE – FÖRDERUNG VON KUNST UND KULTUR

Sophie Scholls Carossagedichte

Sophie Scholl : „Gedichte“ oder „was einen direkt selbst betrifft“.

Bei unserem literarisch-musikalischen Gedenken „Hans Carossa und seine Leser im Freundeskreis Weiße Rose“ wurden Carossagedichte vorgetragen, die Sophie Scholl besonders schätzte.

Wir haben diese Gedichte hier eingestellt.

Unzugänglich schien der Gipfel;
Nun begehn wir ihn so leicht.
Fern verdämmern erste Wege,
Neue Himmel sind erreicht.

Urgebirg und offne Länder
Schweben weit, in Eins verspielt.
Städte, die wir nachts durchzogen,
Sind ein einfach-lichtes Bild.

Helle Wolke streift herüber;
Uns umweht ihr Schattenlauf.
Große blaue Falter schlagen
Sich wie Bücher vor uns auf.

Erstveröffentlichung 1917

An eine Katze

Katze, stolze Gefangene,
Lange kamst du nicht mehr.
Nun, über dämmerverhangene
Tische zögerst du her,

Feierabendbote,
Feindlich dem emsigen Stift,
Legst mir die Vorderpfote
Leicht auf begonnene Schrift,

Mahnst mich zu neuem Besinnen,
Du so gelassen und schön!
Leise schon hör ich dich spinnen
Heimliches Orgelgetön.

Lautlos geht eine Türe.
Alles wird ungewohnt.
Wenn ich die Stirn dir berühre,
fühl ich auf einmal den Mond.

Woran denkst du nun? An dein Heute?
Was du verfehlt und erreicht?
An dein Spiel? Deine Jagd? Deine Beute?
Oder träumst du vielleicht,

Frei von versuchenden Schemen,
Grausamer Gegenwart,
Milde teilzunehmen
An der menschlichen Art.

Selig in großem Verzichte
Welten entgegen zu gehn,
Wandelnd in einem Lichte,
Das wir beide nicht sehn?

Entstanden 1928

Der alte Brunnen

Lösch aus dein Licht und schlaf! Das immer wache
Geplätscher nur vom alten Brunnen tönt.
Wer aber Gast war unter meinem Dache,
Hat sich stets bald an diesen Ton gewöhnt.

Zwar kann es einmal sein, wenn du schon mitten
Im Traume bist, daß Unruh geht ums Haus,
Der Kies beim Brunnen knirscht von harten Tritten,
Das helle Plätschern setzt auf einmal aus,

Und du erwachst, – dann mußt du nicht erschrecken!
Die Sterne stehn vollzählig überm Land,
Und nur ein Wandrer trat ans Marmorbecken,
Der schöpft vom Brunnen mit der hohlen Hand.

Er geht gleich weiter, und es rauscht wie immer.
O freue dich, du bleibst nicht einsam hier.
Viel Wandrer gehen fern im Sternenschimmer,
Und mancher noch ist auf dem Weg zu dir.

1924
Hugo von Hofmannsthal zum 50. Geburtstag

Finsternisse fallen dichter
Auf Gebirge, Stadt und Tal.
Doch schon flimmern kleine Lichter
Tief aus Fenstern ohne Zahl.

Immer klarer, immer milder,
Längs des Stroms gebognem Lauf,
Blinken irdische Sternenbilder
Nun zu himmlischen hinauf.

Entstanden 1907

Ein Stern singt

Schleift nur Gläser, schmiedet Röhren,
Meine Wandlung zu belauern!
Könnt ihr meinen Sang nicht hören,
Bleibt euch nur ein erdhaft Schauern.

Während ich die Wesen ordne,
Stockt mein Puls! Ich muß beginnen,
Alles tief aus mir Gewordne
Still in mich zurückzuspinnen.

Schon zu neuen Klangfiguren
Lagern sich die Grund-Atome;
Meine dumpfsten Kreaturen
Bauen mit am heiligen Dome.

Endlich, ganz und gar durchsichtig,
Liebende kristallne Rose,
Nur noch meiner Seele pflichtig,
Schwing ich mich ums Zeitenlose.

Keiner wird mich künftig sehen,
Der mich nicht wahrhaftig bräuchte.
Vielen muß ich untergehen,
Daß ich wenigen stärker leuchte.

Entstanden 1923/24

Der Kranke

Ich liege still im stillen Haus.
Ich bin vergraben im Winterwald.
Vor meinem Fenster im Nebelbaum
Grüßt ein Rabe jeden Morgen.

Dies ist nicht mein einziger Freund.
Es wird manchmal dunkel am Tage,
Dann kommen die lieben Schneefinken
Vom Berg heruntergeflattert.

Das sind die grauen Vögel,
Die den Sturm verkünden.
Sie flüchten sich an mein Fenster,
Wenn oben der Tod sie bedroht.

Es dämmert, nun kommt meine Schwester.
Sie singt und entzündet die Lampe.
Sie hat eine sanfte Stimme,
Doch ich, ich fürchte sie heimlich.

Meine Schwester hat einen Schneefinken
Ins Zimmer gelockt und erdrosselt.
Sie schmückt mich mit seinem Gefieder.
Oft weckt mich sein Angstruf bei Nacht.

Am Abend setzt sich ein Fremder
Zu mir und behorcht meine Brust.
Meine Schwester umflüstert ihn leise,
Er zuckt mit den Schultern und schweigt.

Die Nächte sind manchmal sehr bang.
Es gehen die Türen von selber,
Dann kommen die Frauen herein,
Die mir das Fieber bringen.

Sie scheinen zu lächeln fern.
Doch wenn sie näher schleichen,
Dann sehen sie ganz wie die Toten aus.
Ihre Augen sind ohne Blick.

Mein Atem wird immer kürzer,
Wenn die weißen Hände mich suchen.
Ich sehne mich nach der Frühe,
Nach dem schönen, lebendigen Raben.

Veröffentlicht 1908

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